NET 1-2/2023
42 www.net-im-web.de 1-2/23 Wenn die Glasfaser ins Haus soll Kooperationen auf Augenhöhe Dass die Zukunft im FTTH-Ausbau liegt, ist aber auch der Immobilienwirtschaft klar. Doch wie so oft führen verschiedeneWege ans Ziel. Ulrich Jursch, Geschäftsführer der Degewo Netzwerk GmbH, wünscht sich zwischen Immobilienunternehmen undNetz- betreibern Kooperationen auf Augenhöhe. „Die Zeit überraschender Vertragsklauseln muss endlich vorbei sein“, sagte Jursch im September 2022 auf der Veranstaltung „Im- mobilienwirtschaft trifft Glasfaser“ von Diet- mar Schickel Consulting in Berlin. Was Immobilienbesitzer keinesfalls mögen: den nachfrageorientierten Ausbau, also den Anschluss einzelner Wohneinheiten an Glasfasernetze. Jursch plädierte in Berlin für ganzheitliche Ausbaustrategien. Die Im- mobilienunternehmen strebten zwar keinen Netzbetrieb an, aber Planung, Inbetriebnahme und Netzanpassungen sollten von ihnen frei- gegeben werden, selbst wenn sich die Netze nicht in ihrem Eigentum befänden, sagte Jursch. Die Frage ist nur, wer angesichts der fehlenden Expertise unter den Unternehmen und des Fachkräftemangels solche Freigaben professionell vornehmen soll. Auch wenn Gebäudeeigentümer nicht den Betrieb der Glasfasernetze anstreben, liegt ihnen doch viel daran, im Besitz dieser Netze zu sein. Das bietet Immobilienunter- nehmen die Möglichkeit, den Netzbetreiber frei wählen zu können, um etwa durch ent- sprechende Vereinbarungen das Risiko der Refinanzierung nicht allein tragen zu müssen. TKG bietet kaum Anreize Die Frage der Refinanzierung stellt sich für die Immobilienwirtschaft vor allem auch deshalb, weil Experten imTelekommunikationsgesetz (TKG) kaum Anreize sehen. Weder die Mo- dernisierungsumlage noch das Glasfaserbereit- stellungsentgelt seien laut Rechtsanwalt Dr. Christoph Enaux von der Kanzlei Greenberg Traurig geeignet. Bei Letzterem schreckt vor allem der kostenfreie Netzzugang ab, den ein Betreiber Dritten gewähren muss. Für Vermieter stellt sich das Problem, dass auch solche Mieter das Entgelt zahlen müssten, die den Glasfaseranschluss gar nicht nutzen. Auch deshalb seien laut Enaux Netzbetreiber beimGlasfaserbereitstellungs- entgelt sehr zurückhaltend. Gestützt wird diese Aussage durch eine nicht repräsentative Umfrage, die der Bundesverband Glasfaser- anschluss (Buglas) unter seinen Mitgliedern durchführte. Demnach hätten 84 % der Buglas-Mitglieder keine Abschlüsse zumGlas- faserbereitstellungsentgelt mit Wohnungs- unternehmen getroffen. Sammelinkasso hat Zukunft Das Glasfaserbereitstellungsentgelt tritt an die Stelle des Sammelinkassos, wenngleich dieses damit keineswegs der Vergangenheit angehört. Rechtsexperte Enaux sieht durchaus noch Möglichkeiten, das Sammelinkasso auch in Zukunft zu nutzen, etwa in Form eines sepa- raten Vertrags, der mit dem Mieter über die Nutzung von Telekommunikationsdiensten abgeschlossen wird oder als Inklusivmodell, also als Passus im Mietvertrag. Als Teil des Mietvertrags können TK-Kosten entweder zur Kaltmiete hinzugenommen werden oder sie bilden einen separaten Posten neben der Kaltmiete sowie denBetriebs- undHeizkosten. Das setzt allerdings voraus, dass bestehende Mietverträge angepasst werden. Zudem räumt das TKG Mietern ein Opt- out-Recht ein. Nach einer Laufzeit von 24 Monaten können Mieter Verträge über TK- Dienste kündigen. Eine solche Kündigung würde sich dann auf die Höhe der Miete auswirken. Außerdem würden Vermieter bei Inklusivmodellen zu Diensteanbietern, wodurch sie die TKG-Vorgaben für solche Anbieter, etwa zumKundenschutz, einhalten müssen. Eng getakteter Prozessablauf Ein weiterer wichtiger Punkt, den Degewo- Chef Jursch ansprach: Immobilieneigentümer benötigen eine freie Nutzung der Netze für die Übermittlung vonGebäudedaten. „Telemetrie sollte ein Standardprodukt sein“, erklärte Jursch. Von technischen und betrieblichen Standards beim Inhouse-Glasfaserausbau kann aber derzeit noch keine Rede sein. Dass es auch ohne solche Standards funktioniert, beweistWilly.tel inHamburg. Laut Geschäftsführer Gábor Csomor lägen in jeder zweiten Straße der Elbmetropo- le Glasfaserkabel seines Unternehmens. Grundlage dafür ist ein eng getakteter Pro- zessablauf in ebenso enger Abstimmung mit derWohnungswirtschaft. Das beinhalte laut Csomor etwa auch eine tägliche Qualitäts- kontrolle. So gelingt es Willy.tel, 90 % der Glasfaseranschlüsse beim ersten und 98 % beim zweitenTerminmit den Bewohnern ein- zurichten. „Eine hohe Marktdurchdringung als Folge eines guten Services und Kunden- managements ermöglicht letztendlich auch sozialverträgliche Entgelte“, erklärte Csomor auf der Veranstaltung in Berlin. Schulter an Schulter Die Grundlage für erfolgreiche Glasfaseraus- bauprojekte in Gebäuden ist neben den von Degewo-Geschäftsführer Jursch geforderten Kooperationen auf Augenhöhe auch eine offene Kommunikation zwischen Immobi- lieninhaber und ausbauendemNetzbetreiber. Dass es hier erhebliche Probleme gibt, deutet die Buglas-Umfrage an. 27 % der Verbands- mitglieder gaben an, dass es Probleme mit Wohnungseigentümern, der Rechtslage, der Koordination oder mit Absprachen und Son- derwünschen gäbe. In der Umfrage ist das die häufigste Angabe, gefolgt von baulichen Voraussetzungen. Trotz all der Herausforderungen, die den Glasfaserausbau in Gebäuden er- schweren, kamen von der Veranstaltung in Berlin positive Signale für die Branche. Die Experten aus der Wohnungs- und Telekommunikationswirtschaft sprachen sich dafür aus, Mieter davon überzeugen zu wollen, dass die Zukunft in der – für Mieter auch teureren – Glasfaser liegt.
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