NET 12/2021
31 www.net-im-web.de 12/21 bestimmten „intelligenten“ (Fest-)Netzen an derenModularisierung und offenen An- wendungsschnittstellen gearbeitet. Dieser Architekturwandel hat aber nicht dazu bei- getragen, die für Ausrüstermärkte typischen engen Oligopole aufzubrechen. Ebenso haben die O-RAN-Allianz und deren Vor- gänger, die schon mehr als fünf Jahre aktiv sind, keine Effekte auf die Anbieterstruk- turen. Für O-RAN ist ein Aufbrechen aus EU-Sicht zudem gar nicht zwingend er- strebenswert, da die beiden europäischen Spieler Ericsson und Nokia hier über eine sehr starke Marktposition verfügen. Der O-RAN-Ansatz entspricht hingegen mehr den Interessen US-amerikanischer IT-Her- steller und Betreiber digitaler Plattformen (Google, Apple, Facebook, Amazon, Micro- soft), weil sie auf dem RAN-Markt noch kaum präsent sind. Fazit Alles in allem ist bei näheremHinschauen das O-RAN-Konzept nicht als von tech- nischen Ideen getriebene (r)evolutionäre Netzarchitektur, die von 4/5G-Betreibern und 4/5G-Ausrüstern weltweit einver- nehmlich gestaltet wird, einzustufen. Es entpuppt sich stattdessen als geopolitischer Ansatz zur Ausgrenzung chinesischer Her- steller und Stärkung US-amerikanischer IT-Unternehmen. Für die Ausgrenzung mag es gute Gründe geben. Nur sollten Politiker diese nicht mit dem vieldeuti- gen O-RAN-Schlagwort verbrämen. In Deutschland hat man klugerweise mit der eingangs beschriebenen Norm imBSI-Ge- setz eine Handlungsoption geschaffen, die ein klares Ansprechen politisch begründeter Ausgrenzungserfordernisse gleichermaßen für chinesische, aber auch für US-ameri- kanische 4/5G-Ausrüster möglich macht. Deshalb sind die Subventionen des Bundes für O-RAN-Forschungsprojekte zwar gut gemeint, aber wenig hilfreich, um die di- gitale Selbstständigkeit Deutschlands bei 4/5G-Netzen merklich zu erhöhen. Projekte zur Entwicklung einer offenen Architektur für 4/5G-Funkzugangsnetze, imBranchenjargonOpenRadio Access Net- works (O-RAN), gefördert werden sollen. O-RAN-Konzept Der O-RAN-Ansatz strebt dieModularisie- rung und primär softwaregestützte bessere Steuerung von 4/5G-Zugangsnetzen an, die Nutzerendgeräte (Smartphones, Tablets, Laptops) über Antennen mit Basisstatio- nen als Eingangstore zum 4/5G-Kernnetz verknüpfen. Hierzu sollen herstellerüber- greifend technische Spezifikationen für Schnittstellen zwischen den Modulen veröffentlicht werden, so dass sich Funk- komponenten und Software verschiedener Ausrüster miteinander kombinieren lassen. Davon erhoffen sich Betreiber von 4/5G- Netzen die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern wie Huawei zu verringern und den Wettbewerb so zu intensivieren, dass die RAN-Preise fallen sowie Innovationen schneller entwickelt werden. Sie versuchen deshalb seit 2016 in verbandsähnlichen Projektgruppen (xRAN Forum, Cloud RAN Alliance), die seit 2018 als O-RAN Alliance e.V. firmieren, den O-RAN-An- satz möglichst gemeinsam mit Ausrüstern weltweit voranzubringen. Politische Entscheider und Pub- likumsmedien vermitteln häufig den Ein- druck, dass der O-RAN-Ansatz der Kö- nigsweg sei, um über die Austauschbarkeit von Ausrüstern insbesondere chinesischer Provenienz die digitale Souveränität oder gar Autarkie von heimischen 4/5G-Netz- betreibern deutlich zu steigern. Technische und empirische Fakten sprechen jedoch dafür, dass sie einer Schimäre aufsitzen. Technische Überlegungen In technischer Hinsicht kann eine O-RAN- Architektur zwar mehr Transparenz für die Schnittstellen verschiedener 4/5G-Zu- gangsnetzmodule (Antennen, Signalum- wandlung, Signalverarbeitung) schaffen. Dadurch ändert sich der „Black-Box“-Cha- rakter der Module selbst jedoch nicht. Hierzu wäre es erforderlich, nur noch auf standardisierte „White-Box“-Hardware zurückzugreifen und die modulspezifischen Softwarepakete zu veröffentlichen. Davon sind aber bis heute alle RAN-Ausrüster, im Gegensatz zur Rhetorik der O-RAN-Alli- ance, „White Box Hardware“ und „Open Source Software“ entwickeln zu wollen, weit entfernt. Neue Module müssen außerdem bei jedem 4/5G-Netzbetreiber in unter- schiedlicher Weise aufeinander und mit dem bislang eingesetzten RAN abgestimmt werden. Diese Integration, für die insbe- sondere bezüglich der modulübergreifenden RAN-Absicherung gegen Angriffe Externer komplexe und den Energieverbrauch in die Höhe treibende Prozeduren erst ge- schaffen werden müssen, ist zeitaufwendig und mit erheblichen Kosten verbunden. Sie fallen bei proprietären RANs aus einer Hand nicht an. Die Zusatzkosten werden aktuell beim japanischen Mobilfunknetz- betreiber Rakuten deutlich, bei dem sich die O-RAN-Ausbaukosten gegenüber der ursprünglichen Planung von rund 5Mrd. € wohl verdoppeln werden. Für die Modulabstimmung ha- ben 4/5G-Netzbetreiber entweder selbst Kompetenzen aufzubauen oder damit einen Generalunternehmer zu beauftragen, so dass die bisherige Abhängigkeit von einem Ausrüster durch die von einem System- integrator ersetzt wird. Empirische Beobachtungen In empirischer Hinsicht gibt es keine An- haltspunkte dafür, dass Konzepte, die „Offenheit“ der Soft- und Hardware von Netzen propagieren, zu beachtenswerten Markteintritten potenter Wettbewerber auf Ausrüstungsmärkten geführt haben. Bereits seit den frühen 1990-er Jahren wird im Zusammenhang mit der Verbreitung von verstärkt durch Software und weniger durch Hardware in ihrer Funktionalität Schimäre O-RAN
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