NET 12/2022
42 www.net-im-web.de 12/22 diese Parameter gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. d NNVO für IZ über Mobilfunknetze als irrelevant angesehen werden dürfen. Multi- statt Einheitswertmodell Vor allemdie für einenmobilen IZ vorgese- henen drei Prozentwerte haben – analog zu den o.g. Festnetzvorgaben – Debatten über ihre sachliche Angemessenheit ausgelöst. Solche Detaildiskussionen gehen am Kern des Problems vorbei. Er besteht darin, dass das Einheitswertmodell für drei Standort- klassen grundsätzlich nicht zur validen Abweichungsbestimmung geeignet ist. Die MDG/MUG bei mobilen IZ ist innerhalb einer Funkzelle und erst recht innerhalb der drei Bereichsklassen nicht gleich. Sie wird von den eingangs angeführten netz- und nutzerseitigen Faktoren stark beeinflusst. Folglich sollte die BNetzA unverzüglich an die Stelle eines Einheitswertmodells ein Multiwertmodell setzen. Multiwertmodell bedeutet, dass die BNetzA pro Funkzelle eines Betreibers Grenzwerte für die MDG/ MUG bestimmt, die unter realistischen Nutzungsbedingungen erreicht werden können. Ein solches Vorgehen hat das Gre- mium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation bereits 2016 in seinen Leitlinien zur Umsetzung der NNVO vorgeschlagen. Die BNetzA begründet ihr Ab- rücken von einemMultiwertmodell damit, dass „imMobilfunkmarkt ... derzeit von ... der Konkretisierung der Vertragsinhalte mittels einer Abdeckungskarte ... nicht Gebrauch gemacht“ würde (S. 7). Die- se These erstaunt, da zumindest die drei großen Betreiber Telekom, Vodafone und Telefónica Germany in ihren vertraglichen Leistungsbeschreibungen durchaus darüber informieren, dass von ihnen angegebene geschätzte MDG/MUG unter optimalen Bedingungen gelten und standortspezifisch über Netzabdeckungskarten bestimmt wer- den können. Allerdings stellenMobilfunk- anbieter bislang sehr wohl in ihrerWerbung bundesweit gleicheMDG-/MUG-Angaben in den Vordergrund. Zur Unterstützung des Wechsels zu einem Multiwertmodell für Abweichungsbestimmungen sollten sie davon abrücken. Das hätte für Anbieter außerdem den Vorteil, durch realistische differenzierteMDG-/MUG-AngabenKun- denenttäuschungen zu verringern und so Kündigungen entgegenzuwirken. Eine Voraussetzung dafür, dass die Behörde zu einem Multiwertmodell wechseln kann, ist, dass sie § 1 Abs. 2 Nr. 5 der TK-Transparenzverordnung anpasst. Dort wird für mobile IZ die Nennung einer geschätzten MDG/MUG in einem Produktinformationsblatt gefordert. Die- se Norm wäre klarstellend dahingehend zu ändern, dass Diensteanbieter in einem Produktinformationsblatt für MDG-/ MUG-Angaben auch auf ihre im Internet öffentlich zugänglichen Netzkarten oder Funkzellenlisten verweisen dürfen. Eine solche Anpassung läuft den Transparenz- auflagen von Art. 4 Abs. 1 lit. d NNVO nicht zuwider, da sie die Bereitstellung von klaren, verständlichen und vor allem aussagekräftigen Informationen ebenfalls gewährleistet. Hoher Messaufwand Für stationäre undmobile IZ gleichermaßen sind mit 30 Messungen, die nach sehr de- taillierten Regeln für Festnetze auf drei und Mobilfunknetze sogar auf fünf Tage verteilt werden müssen, der Aufwand zum Nach- weis einer Geschwindigkeitsabweichung und in der Konsequenz die Hürde für eine Wahrnehmung der Rechte gemäß § 57 Abs. 4 TKG erheblich. Das spiegelt sich darin wider, dass von Mai 2021 bis April 2022 bei der BNetzA lediglich 1.050 Beschwer- den über Geschwindigkeitsabweichungen eingereicht wurden, was einer Quote von einer Beschwerde pro 159.000 IZ über Fest- oderMobilfunknetze entspricht. Dem- nach muss davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher Verbraucher den hohen Messaufwand nur in Extrem- fällen auf sich nehmen wird. Folglich geht die praktische Relevanz der Verordnungen zur Abweichungsbestimmung als Basis für die Erhebung von Ansprüchen gemäß § 57 Abs. 4 TKG gegen Null. Hier besteht ein Dilemma. Man könnte zwar die Beweisanforderungen durch Verringerung der Zahl der Messun- gen und der Vorgaben zu ihrer zeitlichen Gestaltung reduzieren, um für Verbraucher die Schwierigkeit der Wahrnehmung ihrer Rechte abzusenken. Dies wäre aber wie- derum problematisch, weil IZ-Anbieter vermehrt mit unberechtigten Verbraucher- beschwerden konfrontiert werden könnten. Infolge des kaum verminderungsfähigen Beweisaufwands erwecken § 57 Abs. 4TKG und die zur Ausfüllung der Norm erarbei- teten BNetzA-Verfügungen den Eindruck, dass sie primär deshalb geschaffen wurden, damit Politiker sie ungeachtet ihrer Praxis- ferne als Erfolg bei der Stärkung des Ver- braucherschutzes vermarkten können. Fazit Die „Eckpunkte NachweisverfahrenMo- bilfunk“ für den Beleg von Geschwindig- keitsabweichungen überzeugen aufgrund der Verwendung eines Einheitswertmo- dells fachlich eher nicht. Die BNetzA soll- te zu einem Multiwertmodell wechseln. Dass die Behörde einen solchen Wechsel vollziehen wird, ist allerdings angesichts dessen, dass sie in der Ver- gangenheit Konsultationsvorschläge zu Verfügungen im Bereich Telekommu- nikation fast durchweg materiell kaum geändert hat, unwahrscheinlich. Tröstlich ist immerhin, dass die Konkretisierung für mobile IZ infolge der geringen Zahl von Verbrauchern, die den hohen Nach- weisaufwand für Abweichungen auf sich nehmen werden, kaum Schaden imMo- bilfunkmarkt anrichten dürfte. Gleiches gilt für die bereits erlassene Allgemein- verfügung für IZ aus Festnetzen. Geschwindigkeitsabweichungen bei mobilem Internet
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