NET 03/2023

www.net-im-web.de 23 3/23 Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mer- cator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen Torsten J. Gerpott In den letzten Wochen fanden die Marktaustritte von FTTH-Anbietern in Deutschland öffentliche Beach- tung. Der folgende Beitrag ordnet diese „Exits“ vor dem Hintergrund von Theorien zu Industrielebens- zyklen ein. Marktaustritte von FTTH-Anbietern Wie sind sie wirtschaftswissenschaftlich einzuordnen? GL AS FAS ER AUSBAU Die Einstellung des Ge- schäftsbetriebs von klei- neren Unternehmen, die in Deutschland Netze zur Telekommu- nikation (TK) betreiben und TK-Diens- te vermarkten, findet normalerweise in überregionalen Publikumsmedien keine Aufmerksamkeit. Eine erste Ausnahme da- von ist die Insolvenz von Glasfaser Direkt, einem FTTH-Anbieter (FTTH – Fiber to the Home) mit rund 25.000 Privat- kunden ( https://www.teltarif.de/glasfa- ser-direkt-insolvenz-breko/news/90935. html). Eine zweite Ausnahme bildet die Beendigung des Glasfasernetz-ausbaus von Liberty Networks Germany (https://www. teltarif.de/liberty-networks-glasfaser-ende/ news/90499.html). Sind diese Austritte ein Indiz dafür, dass der FTTH-Ausbau in Deutschland ökonomisch doch we- niger attraktiv ist als bislang gemeinhin vermutet wird? Um dieser Vermutung entgegen- zutreten, beeilte sich der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) die Posi- tion als zwingend zu vertreten, dass dem nicht so sei (https://www.golem.de/news/ glasfaser-direkt-wieder-ein-glasfaserbetrei- ber-im-insolvenzverfahren-2302-171945. html). Vielmehr sei die Dynamik im deut- schen Glasfasermarkt „ungebrochen“. Als Heilmittel gegen Unternehmenszusam- menbrüche werden Kooperationen zur Kostensenkung und Regulierungsmaß- nahmen gegen den Parallelausbau von mit FTTH durch alternative Carrier versorgte Regionen durch Telekom Deutschland propagiert. Blick zurück Blickt man auf die Geschichte des Fest- netzmarktes in Deutschland seit Beginn der Liberalisierung im Jahr 1998 zurück, so erkennt man zweierlei: • Die Häufung von Marktaustritten in engen Zeitfenstern war auch schon in der Vergangenheit zu beobachten. Er- innert sei hier nur an Player wie RWE Telliance oder VEW Telnet. • Kooperationen und Regulierung sind ungeeignet, um eineMarktkonsolidie- rung zu verhindern. Industrielebenszyklus Der „Shake out“ lässt sich wirtschaftswis- senschaftlich sehr gut durch ein Konzept erklären, das sich „Industrielebenszyklus“ nennt und branchenübergreifende Gültig- keit beansprucht. Die unabhängigeVariable in demKonzept ist die Zeit; die abhängige Variable ist die Zahl der Unternehmen, die eine Industrie verlassen. In einem jungen Industriemarkt zieht die Anbieterzahl zu- nächst rasch an, Austritte gibt es kaum. Danach sinkt die Zahl der Wettbewer- ber rasch, obwohl die Nachfrage wächst. Schließlich erreicht die Anbieterzahl ein nahezu gleichbleibendes Niveau. Dieses Muster lässt sich historisch etwa in der Automobilindustrie oder in der Solar- thermie nachweisen. Blick nach vorn Der These des Breko, dass FTTH-Markt- austritte in Deutschland keine Abnahme der ökonomischen Attraktivität des An- gebots auf diesem Markt signalisieren, ist aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zuzustimmen. Es besteht kein Grund für industriepolitischen Aktionismus, geschwei- ge denn zur Panik.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjE2Mzk=