NET 04/2021

45 www.net-im-web.de 04/21 Paradigmenwechsel FTTH 1.0 – erste Fingerübungen René Obermann, von 2006 bis 2013 Vor- standsvorsitzender der DeutschenTelekom, kündigt im März 2010 den Glasfaseraus- bau von 10 % aller Haushalte – immerhin rund 4 Mio. – bis Ende 2012 an. Start ist im November 2010 in Hennigsdorf nördlich von Berlin. 120 km Glasfaser sind in der 26.000-Einwohner-Stadt ver- legt und 16 neue Netzverteiler aufgebaut. Bis zum Sommer 2011 sollten allein rund 700 Häuser der beiden größten städtischen Wohnungsgesellschaftenmit mehr als 5.800 Haushalten mit Glasfaseranschlüssen bis in die einzelnenWohnungen versorgt werden. 2012 geht das Netz in Betrieb. Mit FTTH (Fiber to the Home) werden anfangs 100, dann bis zu 200Mbit/s in denWohnungen versprochen und auch in etwa geliefert – durch die noch heute übliche passive GPON-Anschlusstechnik. Allerdings liegen in den Häusern bereits voll ausgebaute 862-MHz-Kabel- TV-Netze. So erlebt Hennigsdorf vor zehn Jahren nicht nur den Start des Glasfaser- ausbaus, sondern zugleich einen offenen Infrastrukturwettbewerb mit dem vonTele Columbus betriebenen Kabelnetz. NebenHennigsdorf stehen ausge- wählte Stadtteile inDresden, Braunschweig, Brühl, Hannover, Neu-Isenburg, Korn- westheim, Mettmann, Offenburg, Potsdam und Rastatt auf den Ausbaulisten. Allein 2011 sollen bis zu 160.000 Haushalte in zehn deutschen Städten mit bis zu 1 Gbit/s versorgt werden (Homes Passed, also bei Bedarf anschließbar). Trotz eingeräumter Rabatte wie Erlass der Anschlussgebühr während der Vorvermarktungsphase bleibt die Zahl der abgeschlossenen Glasfasernut- zungsverträge „unter den Erwartungen des Unternehmens“, so die Telekom vor zehn Jahren. Mitte 2011 haben sich von gut 600.000 Haushalten gerade mal 25 % für Glasfaser entschieden. Zudem gibt es eine Datenmengendrosselung nach 300 Gbyte pro Monat. In Münster und Erlangen gibt dieTelekomdaher am5. Mai 2012 ihr erstes Glasfaserengagement auf – nur 1.000 von 4.800 erforderlichen Vorverträgen werden abgeschlossen. Dabei liegt das Quorum bei 10 % aller anschließbaren Haushalte eines Ausbaugebietes. Vectoring ist billiger Am 1. Oktober 2012 stellt die Deutsche Telekom im NGA-Forum ihre Pläne zur Einführung von Vectoring vor (NET be- richtete). Danach sollen in den nächsten vier Jahren 24 Mio. Teilnehmeranschluss- leitungen mit dynamischem spektralem Management – besser bekannt als Vecto- ring – ausgestattet werden. Zudem wird argumentiert, dass ein flächendeckender FTTH-Glasfaserausbau bis in dieWohnun- gen bis zu 80 Mrd. € kosten würde. Dem gegenüber wäre ein Glasfaserausbau nur bis zu Kabelverzweigern am Straßenrand (FTTC – Fiber to the Curb), ergänzt um die Vectoring-Technik, billiger. Auch damit könntenHaushalte Übertragungsraten von bis zu 100 Mbit/s imDownload erreichen, das Doppelte von VDSL; beimHochladen immer noch bis 40 Mbit/s. So entwickelt dieTelekom andere Schwerpunkte, setzt auf denVDSL-Ausbau mit Vectoring und Supervectoring. Dass mit dieser Technik der Glasfaserausbau kannibalisiert wird, will dieTelekom zumin- dest nach außen aber so nicht wahrhaben. Gerade durch die „VerVDSLisierung“, die in Deutschland auf hohe Akzeptanz stößt, gerät die Glasfaser immer stärker ins Hintertreffen. Nach demAusscheiden von René Obermann übernimmt zum1. Januar 2014 Timotheus Höttges, bis dahin Finanzvor- stand der Telekom, den Vorstandsvorsitz. Ab da wird dasThema FTTCmit Vectoring und später Supervectoring noch intensiver beatmet, reine Glasfaseranschlüsse ver- kommen zur Nebensache. Bis Ende 2020 gilt die Doktrin, Kupfer ist billiger, geht schneller und bringt ebenfalls Breitband in die Wohnungen. Start von FTTH 2.0 Während des Netzetages überrascht Höttges dann mit einem revolutionären Statement: „Wir haben mit dem Vectoring- und dem Supervectoring-Ausbau abgeschlossen, kön- nen die Mittel nun ausschließlich in den 5G- und denGlasfaserausbau stecken.“Und das sind immerhin 5 bis 6 Mrd. € pro Jahr. Vorbei also nun das strategische Ziel der Telekom, für Vectoring und Supervectoring nur alle Hauptverteiler am Straßenrand mit Glasfaser internetmäßig zu ertüchtigen Virtueller Netzetag: Claudia Nemat, Vorstand Technologie und Innovation, Srini Gopalan, Vorstand Telekom Deutschland, sowie Timotheus Höttges, CEO Deutsche Telekom, vor einer Trenching-Maschine (v.l.n.r.) (Foto: Deutsche Telekom)

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