NET 5/2022

39 www.net-im-web.de 5/22 Gesetz über digitale Märkte von Interoperabilität für Messenger von Gatekeepern unter Einsatz einer Ende-zu- Ende-Datenverschlüsselung im Auflagen- katalog von Art. 6 Abs. 1 DMA-E vor. Sie ist allerdings nicht sofort komplett mit der Anwendung des DMA zu gewährleisten, sondern schrittweise über einen Zeitraum von vier Jahren zunächst für Grundfunk- tionen (Text-, Video-, Sprachnachrichten mit Anhängen, Telefonate) und später für Spezialfunktionen (z.B. Gruppenchat). Demgegenüber müssen Gatekeeper ihre sozialen Netzwerke, wie von Kommission und Rat angestrebt, auch weiter nicht inter- operabel gestalten. Um es dem Parlament zu ermöglichen, sein Gesicht zu wahren, umfasst der Kompromiss den ohnehin in vielen EU-Rechtsakten enthaltenen Auftrag an die Kommission, in vier Jahren zu be- werten, inwiefern der DMA im Hinblick auf die Regulierung der Interoperabilität der sozialen Netzwerke von Gatekeepern geändert werden sollte. Auch diese Einigung befriedigt nicht. Die Gründe, die für und gegen Inter- operabilität von Messengern und sozialen Netzwerken sprechen, gelten gleichermaßen für beide Dienste. Einmateriell überzeugen- der DMA hätte deshalb entweder sowohl für Messenger und soziale Netzwerke oder für keinen der zwei Dienste Gatekeeper zu Interoperabilität verpflichtet. Darüber hinaus sind die z.T. sehr langen Einfüh- rungsfristen für die Interoperabilität ver- schiedener Funktionen von Messengern keineswegs technisch zwingend geboten. Eher sind sie sachfremder Ausdruck der Bereitschaft von Kommission, Rat und Par- lament Verzögerungswünsche der potenziell von den neuen Interoperabilitätsauflagen betroffenen Gatekeeper zu erfüllen. Gezielte Werbung Extremkomplex ist die Gefechtslage bei der Regulierung der Zielgruppenausrichtung von Werbeanzeigen von Gatekeepern, die abwertend unter dem Schlagwort „Über- wachungskapitalismus“ diskutiert wird. Hier reichen die Optionen von einem voll- ständigen Verbot der Verwendung von Surfverhaltensindikatoren und anderen, zumeist personenbezogenen Daten für die gezielte Auswahl vonWerbung für Nutzer- gruppen bis hin zur kompletten Freigabe in Verbindung mit der Auflage einer expliziten informierten generellen oder anbieterspezi- fischen aktiven Einwilligung (Opt-in) oder Ablehnung (Opt-out) durch jeden Endnut- zer. DieDMA-Version des Parlaments sah in Art. 6 Abs. 1a i.V.m. Erwägungsgrund 36a vor, Gatekeepern zu untersagen, Werbung auf Minderjährige und unter Rückgriff auf bestimmte Personenmerkmale (z.B. eth- nische Herkunft, politische oder religiöse Einstellungen) zuzuschneiden. Diese Pflicht findet sich im Kompromiss nicht wieder. Er beinhaltet das Einholen der Zustimmung von End- nutzern für zielgruppenbezogene Wer- bung als Teil von Art. 5 Abs. 1a DMA-E, die lediglich dahingehend zulasten eines Gatekeepers ausgeweitet wurde, dass er nach ihrer Ablehnung erst nach einem Jahr erneut um sie bitten darf. Ansonsten besteht das politische Geschäft zwischen Kommission, Rat und Parlament darin, einschlägige Interventionen im Digital Services Act (DSA), der zweiten Kompo- nente des EU-Gesetzespakets zu digitalen Plattformangeboten vom 15. Dezember 2020, abzuhandeln. Dort fordert das Parla- ment in Art. 24 Abs. 1 zur Transparenz von Werbung im Internet entsprechende Einschränkungen für alle mittelgroßen und großen Online-Vermittlungsplattfor- men. Die DSA-Varianten der Kommission und des Rates enthalten diese Verbote nicht. Die drei Institutionen haben sich am 22. April 2022 auf einen politischen Kompromiss verständigt. Angesichts des Entgegenkommens des Parlaments beim DMA überrascht es nicht, dass die vor- läufige Schlussfassung des DSA tatsächlich eine strengere Begrenzung vonNutzungen sensibler persönlicher Merkmale für ge- zielteWerbung durchOnline-Intermediäre beinhaltet. In jedem Fall ist der DMA-Kom- promiss zu begrüßen, weil grundlegende Nutzerinteressenwie informationelle Selbst- bestimmung und das Unterbleiben von Ausspähungen nicht allein durch personali- sierteWerbung von Gatekeepern, sondern auch von imDSA erfassten weniger großen Betreibern von Online-Vermittlungsplatt- formen berührt werden. Dessen ungeachtet ist die in der Einigung enthaltene o.g. ver- schärfte Zustimmungsauflage systematisch im DMA fehl am Platz, sie gehört in den DSA. Sanktionen bei Regelverstößen Zur Durchsetzung der DMA-Pflichten schlugen die Kommission und der Rat bei drei Verstößen in fünf Jahren ("systematic non-compliance", systematische Pflicht- verletzung) als ultima ratio strukturelle Maßnahmen wie den Verkauf von Unter- nehmensteilen oder die Konzern-aufspal- tung für Gatekeeper vor (siehe Art. 16 Abs. 1 bis 3 DMA-E). Das Parlament entschied sich dafür, die Hürden bei der- artigen Abhilfen zu senken (zwei statt drei Regelbrüche in fünf Jahren). Außerdem setzte es sich dafür ein, der Kommission die Kompetenz zu verleihen, Gatekeepern bei einer systematischen Pflichtverletzung zeitlich befristet Übernahmen anderer Unternehmen mit hohem Potenzial für Verminderungen der Angreifbarkeit von Märkten durchKonkurrenten ("killer aqui- sitions") vorbeugend untersagen (vgl. Art. Paradigmenwechsel weg von korrigierenden hin zu vorbeugenden Abhilfen prinzipiell sinnvoll

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