NET 5/2022

40 www.net-im-web.de 5/22 16 Abs. 1a und Erwägungsgrund 64 im Parlamentsvorschlag). Die Verschärfungen wurden nicht vollständig in den Kompromiss übernommen. Bei geplanten Käufen von anderen Unternehmen durch Gate- keeper erhält die Kommission zwar das geforderte Verbotsrecht. Als Kriterien für ein Vorliegen einer systematischen Pflichtverletzung gelten nun aber drei Verstöße in acht Jahren. Es wurde also die Möglichkeit, bei Akquisitionen von Gatekeepern einzuschreiten, im Sinn des Parlaments geändert; die Kriterien für eine systematische Regelmissachtung wurden gleichzeitig eher im Sinn der Kommission und des Rates lediglich geringfügig ab- geschwächt. Für diesen Kuhhandel gibt es keinen materiellen Anlass. Die Hürden für strukturelle Maßnahmen sind in jedem Fall so rigide und anspruchsvoll, dass sie praktisch nie erfüllt sein werden. Zentrale Rechtsgüter wie der Schutz von Eigentum und unter- nehmerischer Freiheit oder die Bewahrung von Innovationsanreizen für Gatekeeper mögen ein solches Vorgehen sinnvoll erscheinen lassen. Aber Kommission, Parlament und Rat haben nicht die Verve, dies in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auch prominent und klar zu vertreten. Als weitere Strafmöglichkeit bei absichtlichen oder fahrlässigen Pflichtver- letzungen vonGatekeepern setzten sich die Kommission und der Rat für Geldbußen von bis zu 10 % des jährlichen Gesamt- umsatzes dieser Anbieter ein (siehe Art. 26 Abs. 1 DMA-E). Das Parlament hielt demgegenüber eine Strafgelduntergrenze von 4 % und einen Maximalwert von 20 % des weltweiten Gesamtumsatzes von Gatekeepern für notwendig. In der Einigung ist der 4-%-Wert nicht ent- halten; die Obergrenze von 10 % soll für erstmalige Bußgelder, der 20-%-Wert für Wiederholungstäter gelten. Bei den Bußgeldschranken haben sich die beiden Seiten somit etwa in der Mitte getroffen. Den Versuch einer auch nur halbwegs stichhaltigen Ableitung der vereinbar- ten Randwerte aus ökonomischen oder juristischen Analysen unternehmen die Beteiligten erst gar nicht. Vermutlich haben sie bei der Formulierung ihrer Startpositionen im DMA bereits Spiel- räume für ein partielles Nachgeben in denTrilog-Verhandlungen einkalkuliert. Das ist taktisch verständlich, hat aber mit durchschaubarer, sachgetriebener Gesetz- gebungsarbeit wenig zu tun. Gesamtbilanz Einerseits ist es begrüßenswert, dass durch den Kompromiss vom 24. März 2022 die EU mit dem DMA bei juristischen Bemühungen zur Beschränkung unfairer Wettbewerbsmuster vonGatekeepern eine globaleVorreiterposition einnehmen kann. Andererseits desillusioniert die letztlich verabschiedete DMA-Variante diejenigen, die naiv noch unverdrossen daran geglaubt haben, dass die Eckpfeiler guter Gesetze zu digitalen Diensten von Plattformen fach- lich seriös fundierteÜberlegungen deutlich erkennbar widerspiegeln. Dies trifft auf den DMA nicht zu. In der Kompromiss- fassung drücken sich an sehr vielen Stellen in erster Linie politischeMachtverhältnisse zwischenKommission, Parlament, Rat und den 27 EU-Mitgliedern aus. Konsequenz dessen ist, dass der DMAwichtige Aspekte nicht schlüssig, wenn nicht gar willkür- lich regelt (z.B. Reichweite von Inter- operabilitätspflichten). Außerdem spart er seit langem strittige wichtige Punkte wie Vergütungspflichten von Gatekeepern aus, die ihnen gegenüber Betreibern elek- tronischer Kommunikationsnetze dafür auferlegt werden könnten, dass sie mit ihrem Datenverkehr große Teile der Ka- pazität solcher Netze in Anspruch nehmen (nach Analysen von Sandvine belief sich im Jahr 2021 der GAMMA-Anteil am weltweiten Datenvolumen im Internet auf 47,6 %). Immerhin bleibt die Hoffnung, dass sich nicht nur nach dem Überfall der Ukraine durch einen rücksichtslosen Diktator, sondern auch bei der EU-Re- gulierung digitaler Märkte vieles zum Besseren wendet, weil die Chance besteht, dass dieWettbewerbswirkungen des DMA im Alltag wesentlich von der praktischen Anwendung des neuen Regelwerkes durch die Kommission abhängen werden. Gesetz über digitale Märkte Extrem komplex ist die Gefechtslage bei der Regulierung der Zielgruppenausrichtung von Werbeanzeigen von Gatekeepern, die abwertend unter dem Schlagwort „Überwachungskapitalismus“ diskutiert wird (Foto: Gerd Altmann, pixabay)

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