NET 8/2022

24 www.net-im-web.de 8/22 Der selbstfahrende Staat muss keine Vision bleiben abteilungs- und behördenübergreifend – natürlich jedoch nur, wenn der Bürger dem explizit zustimmt. Der selbstfahrende Staat könnte somit auf das bisher vorherr- schende Silodenken einzelner Ämter und Einheiten verzichten und Wissen sowie Daten teilen – zumWohle der Bürger. So könnten Entscheidungen schneller und effizienter werden, staatliche Unterstüt- zungen schneller ausbezahlt oder politi- sche Steuerungsmechanismen schneller umgesetzt werden. Pseudo-Digitalisierung vermeiden Der Bürger muss dabei im Mittelpunkt des Interesses bleiben. Denn ein Staat, der über viele Daten verfügt und diese auch transparent vernetzt, wird auch viele Befürchtungen auslösen. Ein rechtlicher Rahmen, der Daten einerseits maximal schützt und andererseits sinnvoll nutz- bar macht, wäre der erste Schritt hin zur selbstfahrenden Verwaltung. Diese zu etablieren, braucht eine vorausschauende Politik, die die gesetzlichen Rahmenbe- dingungen schafft. Das OZGwar hier ein guter Katalysator. Jedoch muss die Politik aufhören, Digitalisierungsmaßnahmen einzeln zu betrachten und so Steuergelder ineffizient einzusetzen. Es nutzt am Ende nichts, wenn ein Bürger seinen Antrag auf Wohngeld zwar digital in eine Maske ein- geben kann, das Formular aber am Ende in der Behörde ausgedruckt und manuell bearbeitet wird. Vielmehr müssen zunächst die Verwaltungsprozesse ganzheitlich digital entworfen und später, in einem zweiten Schritt, überbehördlich miteinander ver- netzt werden. Bereits heute müssen die strategischen, technischen und legislati- ven Voraussetzungen geschaffen werden. Ansonsten wird die Digitalisierung der Verwaltung ein teurer Flickenteppich mit Teil- und Pseudolösungen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern bedingt immer ganzheitliches Handeln, eben ein Hinwir- ken auf ein bestimmtes Zielbild. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass eine Software, ist sie erstmal implementiert, nicht selten zwischen fünfzehn und dreißig Jahren im Einsatz ist, auch dann, wenn sie immer erweitert und novelliert wird. Fehlent- scheidungen haben also Langzeitfolgen. Je weniger ganzheitlich agiert und investiert wird, desto schwieriger wird es, das Staats- wesen insgesamt zu modernisieren. Was die einzelne Behörde heute als Innovation feiert, kann sich morgen als Hemmschuh erweisen. Weg zum selbstfahrenden Staat Verwaltungen müssen und werden auch im selbstfahrenden Staat menschlich blei- ben. Menschen, in dem Falle die Bürger, möchten auch mit Menschen sprechen und interagieren. Beratungsbedarfe und Rückfragen werden auch in einer digita- len Welt nicht gänzlich wegfallen. Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch technologisch gelöst werden können und sollen. Es wird weiterhin Menschen in der Verwaltung brauchen, die den oben genannten Service gegenüber den Bürgern sicherstellen werden. Allerdings: Auch die öffentliche Hand leidet unter dem demografischenWandel, einemmassiven Fachkräftemangel und steht im Wettbe- werb mit Unternehmen und Hochschu- len um diese. Es fehlen unter anderem Architekten, Bauingenieure, Statistiker und vor allem IT-Kräfte. Es wird also not- wendig werden, die immer komplexeren Verwaltungsentscheidungen weitgehend softwarebasiert zu treffen und die Men- schen in der Verwaltung im eigentlichen Service am Bürger einzusetzen. Expertise lässt sich leichter durch KI abbilden als menschliche Zuwendung und Interaktion. Der selbstfahrende Staat wird keine abge- hobene Verwaltung bekommen, sondern eine dualistische, eine, die Prozesse weit- gehend automatisiert, aber diemenschliche Interaktion zulässt. Der Weg dorthin wird mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen. Derzeit findet Verwaltung noch weitgehend ana- log statt. Klassische Akten dominieren das Geschehen, auch wenn Anträge und Kom- munikation schon teildigitalisiert ablaufen. Der Ist-Zustand ist analog oder „pseudo- digital“. Eine Software- und KI-gestützte Verwaltung, in der Algo- rithmen Entscheidungen treffen, Bescheide erlassen oder Sozialleistungen auszahlen, muss heute transparent sein (Foto: Gerd Altmann. pixabay)

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