NET 8/2022
25 www.net-im-web.de 8/22 Der selbstfahrende Staat muss keine Vision bleiben Digital, automatisiert, selbstfahrend Der erste Schritt wäre also, die Verwaltung ganzheitlich zu digitalisieren. Im digitalen Staat liegen 80 %der Daten digital vor, und zwar so, dass sie semantisch und syntaktisch von Software verstanden werden können. AmBeispiel einerTelefonnummer bedeutet syntaktisch: +49 ist die Ländervorwahl, 171 ist der Mobilfunk-Betreiber und der Rest der Nummer ist die ID, die zum Beispiel einen Anschluss eindeutig identifiziert. Semantisch bedeutet, die Software versteht, dass dies die privateMobilfunknummer von Max Mustermann ist, den man in privaten Angelegenheiten auch außerhalb der Ge- schäftszeiten hierüber kontaktieren kann. Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um von einem digitalisierten Datensatz sprechen zu können. Die meisten staat- lichen Register dürften diese inhaltlichen Voraussetzungen erfüllen, sie sind aber bislang nicht vollständig digitalisiert. Über diese „Datafizierung“ hinaus müssen im digitalen Staat auch Prozesse definiert sein, um diese Daten verwalten zu können. Der „datafizierte“ Zustand allein ist also nicht ausreichend, um von einem digitalen Staat sprechen zu können, sondern der Datensatz muss bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen: Er muss erstellt, gelesen, bearbeitet und gelöscht werden können. In der Fachsprache wird hier von „CRUD“ gesprochen: Create, Read, Update, Delete. Diese vier Basis- voraussetzungen müssen immer gegeben sein, um Daten auch nutzen zu können. Umgekehrt müssen auch sämtliche Anwen- dungen CRUD ermöglichen und über eine präzise Rechtestruktur verfügen, die exakt regelt, wer hier erstellen, lesen, bearbeiten und löschen darf. Algorithmen treffen Entscheidungen Es genügt also nicht, dass die Daten ledig- lich vorliegen – vielmehr muss auch für jede Verwaltungseinheit auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene klar definiert sein, in welcher Weise die Daten bereitgestellt werden undwer darauf zugreifen darf. Denn bereits in der analogen Welt kann die Ver- waltung ihren Zweck nicht erfüllen, wenn die dafür relevanten Daten nicht vorliegen. Der zweite Schritt wäre die auto- matisierte Verwaltung. Hier werden die oben genannten Daten genutzt, um 80 % der Prozesse auf Basis von Softwarealgo- rithmen abzubilden. Sämtliche Routi- neaufgaben, etwa die Bearbeitung einer Steuererklärung oder die Genehmigung einer Sozialleistung würde hier der Software überlassen werden. Regel-, Risiko- und Fehlerprüfung werden automatisiert durch- geführt. Menschen können kontrollieren, sind aber imNormalfall von diesenRoutine- aufgaben frei. Der Fokus derMenschen liegt auf der Gestaltung der Regel-, Risiko- und Fehlerprüfungen und Entscheidungen über Abweichungen. Im dritten Schritt, der selbstfah- rendenVerwaltung, werden dann auf Basis der automatisierten Prozesse und mithilfe vonMachine Learning (ML) auch 80%der Entscheidungen softwarebasiert getroffen. Der Steuerbescheid würde also nicht mehr nur automatisiert erfasst und bearbeitet, es würde auch gleich über eine Stundung der Steuerlast entschieden werden können und ein Zahlungsplan entwickelt, der den finanziellen Möglichkeiten des Steuer- pflichtigen und den aktuellen Umständen entspricht. Eine Verwaltung dieser Art muss für alle Bürger und Unternehmen gleicher- maßen zugänglich sein – barrierefrei, diskri- minierungsfrei und nicht korrumpierbar. Sie wäre kollektiv gerecht und sollte deswegen zumindest als Denkmodell Einzug in die politische Debatte halten. Patrick Pils Die heutigen Verwaltungsstrukturen reichen bei weitem nicht aus, um in der heutigen Welt Dinge schnell zu lösen, dem Bürger den notwendigen und gewünschten Service zu bieten Ein Staat, dem viel mehr und vernetztere Daten seiner Bürger vorliegen als heute, darf kein bürokratisches Monster sein, sondern ist weit mehr auf das Vertrauen der Bürger angewiesen (Foto: Oliver Menyhart, pixabay)
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