NET 8/2022
41 www.net-im-web.de 8/22 Dark Patterns im Internet Zeit für DP-Tests zu investieren. Bei der Tool-Entwicklung kann auf mehreren öf- fentlich finanzierten Forschungsprojekten wie CLAUDETTE – Automated Clause Detecter, Datenschutzscanner by Privacy Guard oder Dark Pattern Detection Pro- ject – Dapde aufgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der Vielfältigkeit von DP ist zwar kurzfristig nicht damit zu rechnen, dass die Software nahezu fehlerfrei arbeitet. Machbar sind aber schon heute Lösungen, die vor allem für Nutzer stark nachteilige DP unter Einsatz von Techniken des Ma- schinenlernens mit befriedigender Zuver- lässigkeit identifizieren können. Zweitens sind Aktionen notwen- dig, die öffentliche Aufmerksamkeit für von mit der Prüfsoftware generierte Ergebnisse schaffen. So könnte die Bundesregierung Verbraucherschutzorganisationen damit beauftragen, DP-Top- und -Flop-Listen zu erstellen sowie breit zu kommunizieren. Der Reputationsgewinn bzw. -verlust, den Site- Betreiber über solche allgemein bekannten Listen erzielen bzw. erleiden können, hilft die Anbieter zu motivieren, DP-Leitlinien auch ohne juristischen Zwang umzusetzen. Drittens sind Zahlungen – analog zu jüngst vorgeschlagenen Prämien für Ver- braucher und Unternehmen, die in einer Energiekrise sparsammit Gas umgehen – an kleine und mittelgroße Betreiber einzufüh- ren, die der Bund bei Erreichen bestimmter DP-Schwellenwerte mit der o.g. Prüfsoft- ware auf Antrag vornimmt. Der Sorge, dass damit Anbieter für eigentlich gesetzestreues Verhalten belohnt würden, ist entgegenzu- halten, dass sich Zahlungen auf „überob- ligatorisch“ gute Nutzerschnittstellen, die Grundstandards deutlich überschreiten, begrenzen lassen. Zudemwird durch „helle“ Nutzeroberflächen dasVerbrauchervertrauen in den Online-Handel gestärkt, so dass die öffentliche Hand die Chance hat, infolge höherer Geschäftsvolumina zumindest einen Teil der Zahlungen über gestiegene Steuer- einnahmen zu kompensieren. Defzite der Bundesregierung Bis heute sind die Bemühungen der Bun- desregierung(en), über juristische Interven- tionen hinaus Nutzer vor DP zu schützen, unzureichend. Das Bundesministerium der Justiz hat zwar 2018 eine Corporate-Digital- Responsibility-Initiative (CDR) ins Leben gerufen. Sie hat jedoch lediglich eher als Lippenbekenntnisse einzustufende Selbst- verpflichtungen weniger Konzerne ohne Konkretisierungen von DP hervorgebracht. Mit dem Regierungswechsel im Dezember 2021 wurden der Verbraucherschutz und mit ihm die CDR-Initiative in das Bundes- ministerium für Umwelt verschoben. Aber auch dort belässt man es bei unverbindlichen isolierten Maßnahmenvorschlägen zu DP und allgemeinen Meinungsforen wie zuletzt eine CDR-Konferenz am5. Juli 2022.Weiter beteiligt sich das Bundesinnenministerium fleißig seit 2019 jährlich an einem Digi- taltag, der jedoch über eine reine PR-Ver- anstaltung mit netten Gemeinplätzen zur digitalenTeilhabe der Bürger in Deutschland kaum hinauskommt. Schlussendlich haben weder das Bundesdigitalministerium noch das Bundeswirtschaftsministerium Schritte in Richtung auf DP-Leitlinien bzw. -Software sowie Anreize zur Leitlinienanwendung in der Praxis unternommen. Das Fehlen einer zentralen Instanz in der Bundesregierung, die sich nicht nur in ihremTitel mit demVerweis auf Digitales schmückt, sondern tatsächlich weitreichende Befugnisse für Digitalthemen hat, macht sich bei DP einmal mehr schmerz- lich bemerkbar. Die Bundesregierung hat derzeit mit Gasnotstand sowie einer drohenden ernsten Rezession infolge des Putinschen Angriffskrieges auf die Ukraine, Klimaschutz undHaushaltssanierung verständlicherweise dringendeThemen vorrangig zu behandeln, die mit Nutzer- und Wettbewerbsschutz im Internet wenig zu tun haben. Im Sinn der langfristigen Sicherung eines grund- rechtskonformen digitalen Internetraums sollte sie aber jenseits juristischer Maßnah- men nichtsdestotrotz spezielle Leitlinien, Software-Tools, Informationskampagnen und Prämienzahlungen als Hebel zur DP- Bekämpfung mehr ins helle Rampenlicht rücken. Bild 2: Beispiel 2 für Dark Patterns: Der Besucher soll durch einen Count-Down-Timer und befristeten Rabatt zu einem schnellen Kauf bewegt werden (Screenshot: Levis)
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